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Abruzzen – Eine Region, die auf uns wartet

Eine langsame Reise durch Geschmack, Stille und überliefertes Wissen – wo die Zeit nicht eilt, sondern erzählt.

Abruzzen – Eine Region, die auf uns wartet

Text: Marino Pagano, Fotos: Vittorio Ghelfi

Während viele Reiseziele heute auf Geschwindigkeit und Effizienz setzen, bewahrt eine Region Italiens bewusst ihren traditionellen Lebensrhythmus – geprägt von den Jahreszeiten, lokalen Bräuchen und einer stillen Beständigkeit. Das Innere der Abruzzen zeigt sich ungeschminkt, abseits touristischer Inszenierungen. Es wartet – und lässt sich nur im langsamen Schritt wirklich verstehen. Die Abruzzo Food Experience 2025 bewegt sich genau in diesem authentischen Landschaftsbild: tief und voller Geschichten, die in Kilometern und in Geschmack gemessen werden. Denn manche Reisen brauchen mehr als nur ein Ziel. Sie brauchen Wiederkehr.

Sulmona – Im Schatten des Ovid

Die Tour beginnt in Sulmona, der Geburtsstadt des Dichters Ovid. Eine Stadt, die sich wie ein illustriertes Buch öffnet: mit dem Gold alter Steine, den grünen und braunen Bergen ringsum. Das Hotel Santacroce, etwas außerhalb des Zentrums gelegen, bietet eine entspannte Perspektive auf die Peligna-Ebene. Bei Sonnenuntergang senkt sich der Himmel über den Morrone, und auf dem Teller landet ein schlichtes Ritual – „Sciuscellette“, duftende, einfache Teigwaren, deren Geschmack die Erde erzählt. Sulmona entfaltet sich mit stiller Eleganz zwischen Mittelalter und Renaissance. Der Annunziata-Komplex wirkt wie einer Radierung entsprungen, das staufische Aquädukt durchschneidet die Piazza wie eine Brücke zwischen Jahrhunderten. In den berühmten Confetti – mit Zucker überzogene Mandeln – lebt die feine Handarbeit fort. Ovids Schatten ruht wie eine unvollendete Verszeile auf dem gleichnamigen Corso.

Cocullo – Mythen unter der Haut

Am nächsten Morgen führt die Straße hinauf nach Cocullo. Bekannt für das Schlangenfest, offenbart der Ort darüber hinaus eine stille, tiefgründige Schönheit. Die Häuser schmiegen sich wie in einer uralten Umarmung zusammen. Die Mauern sprechen von Heiligen und Hirten. Das „Museo dei Serpari“ erzählt die Geschichte des Kults um San Domenico – eine spirituelle Reise in die raue Welt der Berge. Ein kleiner, kraftvoller Ort, der Mythos und Zeit verschmelzen lässt.

Villalago – Die Dichte der Stille

Von dort geht es weiter nach Villalago. Das Panorama wird rauer, die Kurven enger, das Schweigen dichter. Das Dorf thront über dem dunklen San-Domenico-See, in dem sich das versteckte Eremitenkloster spiegelt. In der Naturreserve des Eremo di San Domenico wird Spiritualität zur steinernen Stille, zur nassen Felswand, zum Fenster in die Schlucht: Farben, Wasser, Blumen – alles trägt zur sinnlichen Kontemplation bei.

Scanno – Tradition mit Händen gewebt

Dann erreicht man Scanno, ein Dorf, das keiner Vorstellung bedarf. Die Gassen winden sich wie Spiralen, Balkone blühen, Handwerksläden leben. Bei „De Rienzo“, einem traditionsreichen Goldschmied, wird die Eleganz der lokalen Kultur spürbar. Und Luna Piccinini lässt mit ihren Händen Klöppelspitze wie atmenden Gesang tanzen – eine lebendige Erinnerung voller Geduld und kunstvoller Fingerfertigkeit. In den Gassen duftet es nach Mandeln und Zucker. Der „Pan dell’Orso“, dicht und würzig, erzählt von Bergen, Honig, Trockenfrüchten, Gewürzen. Die „Ferratelle“, „Mostaccioli“ und anderen Süßigkeiten sind kleine Geschichten von Arbeit und Fest, überliefert und gebacken nach alten Rezepten. Das Mittagessen im Hotel Roma ist eine Hommage an die Bergküche – Almkäse, Bauerneintöpfe, würzige Wurstwaren. Kein ästhetisches Spiel, sondern Nahrung als veredeltes Überleben. Ein süßer Abschluss: die Patisserie „Di Masso“ krönt den Aufenthalt.

Anversa degli Abruzzi – Landschaft als Tischgesellschaft

Der Tag endet in Anversa degli Abruzzi, beim Abendessen im Agriturismo „La Porta dei Parchi“. Die regionale Küche spiegelt die Landschaft wider: Rohmilchkäse, frisches Gartengemüse, im Holzofen gebackenes Brot und Fleisch von der Weide sind Produkte, die eng mit dem örtlichen Terroir verbunden sind. Die Gespräche sind leise, der Wein fließt sanft. Diese erste Etappe ruht auf Steinen und Wasser, wie ein Wort, das noch nicht ausgesprochen wurde. Denn die Abruzzen sind kein Land für Eile. Man kehrt zurück. Man hört zu. Man schreibt – und wird weiterschreiben. Und irgendwann, nach vielen Seiten und vielen Kilometern, werden die Abruzzen selbst sprechen: Es gibt Orte, die hören nie auf. Sie bleiben – und leben in uns weiter.

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