Text und Fotos: Elvira D’Ippoliti
Wie eine Kette aus fünfzehn steinernen Perlen schmiegen sich die „Erzählenden Dörfer“ des Gran Sasso – nur wenige Kilometer von L’Aquila entfernt – an die Berghänge beiderseits der Staatsstraße 17, die in dieser Region dem antiken Tratturo Magno folgt. Die Szenerie ist geprägt von unberührter Natur: majestätische Berge, weite Wiesen und stille Wälder begleiten den Weg. Und plötzlich, zwischen Grün und Straße, taucht das strahlende Weiß einer uralten Kirche auf. Aus der Ruhe der Landschaft erhebt sich die silberne Silhouette einer mittelalterlichen Burg, deren Mauern sich den Hang hinab senken – gleichsam umgeben von Häusern, die ihr zu Diensten stehen. Oder ein Palast, stolz thronend über einem kleinen, sorgsam angeordneten Dorf, dessen Architektur strenge Wachsamkeit ausstrahlt, zugleich aber ein liebevoller Blick auf die eigene Gemeinschaft verrät. San Pio delle Camere und Navelli gehören zu jenen fünfzehn Dörfern, die sich dem Besucher wie ein illustriertes Buch öffnen – leise erzählen sie Geschichten von Leben und von Menschen, die sie lieben.

Der Grund dafür, dass diese Orte ihren ursprünglichen Charme bewahren konnten, liegt in der Geschichte der Abwanderung – viele mussten aus wirtschaftlicher Not anderswo Arbeit suchen. Heute ist genau diese Authentizität das Tor zu einer Welt, in der Zeit langsamer vergeht, die Gemeinschaft zählt und Werte gepflegt werden. Jedes Dorf besitzt eine eigene Schatzkammer, die mit Stolz geöffnet wird: Safranfelder von seltener Schönheit, aromatisches Natives Olivenöl extra, erlesener Wein und traditionelle Rezepte, die mit frischen, lokalen Zutaten den Gaumen verwöhnen. Einige Orte bergen Kunstschätze wie die freskengeschmückte Kapelle San Pellegrino in Bominaco, einem Ortsteil von Caporciano, andere wiederum bieten Naturjuwelen wie den kristallklaren Fluss Tirino bei Capestrano. Was sie alle eint, sind die gastfreundlichen Bewohner, die ihre Heimat lieben und deren Schönheit gern mit Besuchern teilen.
Im kleinen Dorf Tussio kann man in einem bezaubernden B&B übernachten, das aus alten Häusern und einem vom Erdbeben beschädigten Schulgebäude entstanden ist. Die „Antica Dimora del Tratturo Magno“ bietet geschmackvoll renovierte Räume, in denen eine Atmosphäre von längst vergangenen Zeiten spürbar ist. Besonders charmant: eine außergewöhnliche SPA-Anlage, die sich in den alten Weinkellern des Dorfes befindet, mit Felswänden, die eine intime und behagliche Stimmung erzeugen. Abends genießt man Aperitifs im Freien – auf bunten Kissen im Gras, mit Blick auf San Pio delle Camere und dessen stolze Burg. Über der Ebene von Navelli färbt sich der Himmel rosé, bevor er in ein ruhiges Nachtblau übergeht. Ein Glas Cerasuolo, begleitet von frischem Brot und bestem Schinken, lässt den Tag in vollkommener Zufriedenheit ausklingen – und macht Lust auf die Nacht in einem der liebevoll eingerichteten Gästezimmer.

Ein besonderes Erlebnis erwartet den Besucher in der Nähe von Capestrano, einem weiteren Erzählenden Dorf: eine Kanufahrt auf dem Fluss Tirino, organisiert von der Kooperative „Il Bosso“, die auch Wanderungen und eBike-Touren in der Region anbietet. Ein Team aus erfahrenen Guides begleitet die Gäste durch das smaragdgrüne Wasser. Der Tirino bleibt ganzjährig bei angenehmen zehn Grad und wird durch unterirdische Quellen gespeist. Im Fluss gedeihen üppige Wassersellerie-Büsche, flankiert von weißem Weidenholz und Pappeln – ein Fest für alle Sinne. Das Auge erfreut sich an den vielen Grünnuancen und dem glasklaren Blau des Wassers, die Ohren lauschen dem Vogelgesang der Wasservögel, die gelassen das Vorbeigleiten der Kanus beobachten. Insekten tanzen im Laub wie Farbspritzer auf einem Künstlerpinsel. Gegen die Strömung paddelnd beginnt das Abenteuer, das in völliger Stille endet – zurückgetragen vom Fluss. Wer den Zauber des Tirino ganz unmittelbar erleben will, taucht die Fingerspitzen ins kühle Nass, das mit einem sanften Plätschern antwortet und ein stilles Band zwischen Mensch und Natur knüpft.

Einst war Abruzzen das Land der Schafe – eine gewaltige Herde, deren Zahl über die Jahre immer weiter schrumpfte. In Santo Stefano di Sessanio verwandelt die junge Unternehmerin Valeria Gallese die Arbeit mit Wolle in eine Kunstform. In ihrer Werkstatt sammelt sie Rohwolle, lässt sie in Biella spinnen und färbt sie selbst – mit Hingabe und Kreativität. Ihre Leidenschaft für die Hirtenkultur ist das Fundament ihrer Arbeit, und die Wolle, wie Valeria sagt, hat Charakter. Schon die ersten wärmenden Stoffe der Menschheit waren aus Wolle gefertigt. Ihr uraltes Band mit dem Menschen interpretiert Valeria auf moderne Weise – doch stets im Einklang mit den Traditionen. Die Farbpalette ihrer Garne reicht von Rosé, gewonnen aus Montepulciano-Wein, bis zu den feinen Nuancen des Safrans – beziehungsweise dessen Reste. Ihr Wolluniversum berührt, weil es ein Fenster öffnet in eine Welt der Einfachheit, die heute wieder mehr denn je gebraucht wird.
Die neue Integrierte Tourismusdestination „Paesi Narranti del Gran Sasso“.
Zu dieser neuen touristischen Destination gehören folgende Orte:
Barisciano, Calascio, Capestrano, Caporciano, Carapelle Calvisio, Castel del Monte, Castelvecchio Calvisio, Collepietro, Navelli, Ofena, Prata D’Ansidonia, San Benedetto in Perillis, San Pio delle Camere, Santo Stefano di Sessanio sowie Villa Santa Lucia degli Abruzzi.