Terra Italia

Macerata: Die “Petit Tour” im weniger bekannten Italien

Paolo Gianfelici

Geschichte, Kunst und traditionelle Kochkünste charakterisieren diesen Reiseweg im Herzen der Region Marken. Besonders sehenswert sind die Abtei von Chiaravalle di Fiastra, die aus den Ruinen der römischen Urbs Salvia erbaut wurde und die aus dem 14. Jahrhundert stammenden Fresken in der Kirche San Nicola in Tolentino.




Monti Sibillini (Foto P.Gianfelici)

Die Abtei von Chiaravalle di Fiastra
(Foto P.Gianfelici)

Macerata (Terra Italia) – Wer bereits die Hügellandschaft um Siena, die fiorentinischen Paläste, die umbrischen Klöster, die Villen der römischen Castelli gesehen hat, der sollte einmal in diese verborgene und abseits gelegene Provinz in Mittelitalien kommen. Er wird mit Sicherheit etwas Neues und Ungewöhnliches vorfinden. Oder anders herum formuliert: Wer die Toskana, Latium und Umbrien nicht kennt und auch noch nicht in Urbano gewesen ist, der kann seine “Petit Tour” durch das weniger bekannte Italien hier im Herzen der Marken beginnen. Er wird ein Italien antreffen, das sehr gut erhalten, ruhig und still ist und zudem ….auch gut verwaltet wird.

Seit etwa zehn Jahren hatte ich mich nicht mehr in den Marken aufgehalten. Es überraschte mich, dort so viele hervorragend restaurierte Kirchen, Klöster, Einsiedeleien, Palazzi und Theater anzutreffen. Die im Zusammenhang mit dem Erdbeben von 1997 vom Staat zur Verfügung gestellten Gelder sind gut angelegt worden. Das ist in diesem Land nicht immer so und verdient deshalb besondere Erwähnung.

Wo und wie soll nun die Reise durch die sanften Hügel um Macerata begonnen werden? Vielleicht in einem zum Hotel umgestalteten Adelssitz mit einem Abendessen vor dem Kamin und einer erholsamen Nachtruhe in dem großen Schlafzimmer, das mit Möbeln aus dem 19. Jahrhundert ausgestattet ist. Ich habe die erste Nacht im Palazzo Carradori verbracht, der im Besitz der Marchesa Edvige Machiavelli ist. Er befindet sich in Montefano, einem mittelalterlichen Dorf, das zwischen Ancona und Macerata auf dem Gipfel eines Hügels liegt. Das historische Anwesen grenzt an ein Theater aus dem 18. Jahrhundert, das eine kleinere Ausgabe des Fenice von Venedig ist. Es verfügt nur über neun Schlafzimmer, und die wenigen Kunden bewegen sich durch die terracottagefliesten Gemächer mit ihren steinernen oder freskenverzierten Gewölben gerade so, als seien sie die privaten Gäste der Marchesa. Blickt man aus dem Fenster des völlig ruhigen Schlafzimmers, sieht man einen englischen Rasen, der von einem seltsamen, langen und niedrigen Bauwerk aus dem 18. Jahrhundert begrenzt wird. Auf meine Frage erklärte man mir, dass es sich dabei um eine Voliere handele.

Nach einem reichhaltigen Frühstück mit einheimischen Wurst- und Käsesorten, mit Backwaren wie dem “Ciambellone” und den Anisplätzchen mache ich mich auf, die Gegend zu erkunden. Dabei sollen Geschichte, Kunst und einheimische Küche meine Schwerpunkte sein.

Erste Etappe: Macerata, die Provinzhauptstadt. Sie ist eine elegante Stadt, auch nach urbanistischen Kriterien ausgesprochen harmonisch, und in Bezug auf die Lebensqualität rangiert sie in Italien ganz oben in der Statistik. Durch ihre Gipfellage auf einem Hügel wirkt sie wie eine große Terrasse mit Blick auf das ländliche Gebiet der Marken mit ihren rundlichen Hügeln, die nur hin und wieder von abgelegenen Behausungen unterbrochen werden. Man sollte es nicht versäumen, die Städtische Pinakothek im Palazzo Ricci aufzusuchen, die durch eine reichhaltige Gemäldesammlung italienischer Maler von den Futuristen über De Chirico bis hin zu Guttoso imponiert. Sehenswert auch das Kutschenmuseum, wo zig Reisekutschen aus dem 17. Jahrhundert ausgestellt sind, weitere aus dem 18. Jahrhundert, dann Jagdgefährte, Coupes, und nicht zuletzt die hocheleganten Landauer des 19. Jahrhunderts mit den silbernen Laternen.

Zwischen Macerata und Tolentino trifft man auf die Abtei von Chiaravalle di Fiastra, eines der am besten erhaltenen Zisterzienserklöster Italiens. Der Kreuzgang aus dem 15. Jahrhundert besticht durch seine Einfachheit. In der Nähe befand sich einst die römische Stadt Urbs Salvia, deren Ruinen als Baumaterial für die Errichtung des Klosters herhalten mussten. Die Gewölbe des Refektoriums werden von romanischen Säulen und Kapitellen abgestützt. Nur unweit davon kann man die unter Naturschutz stehende Selva besichtigen, hundert Hektar Forstgebiet, das sich Jahrhunderte lang in Obhut der Mönche befand, ein letztes Zeugnis für die Wälder, die dereinst die Hügel in der Provinz Macerata bedeckten.

Auf der Autobahn gelangt man nach Caldarola und fährt auf den Apenninausläufern zum Castello di Vestignano hinauf. Mittagessen im “Picciolo di Rame”, einem kleinen Restaurant mit höchstens zwölf Gedecken, das in einer antiken ölmühle untergebracht ist. Auch die Küche stammt aus alten Zeiten, ist mindestens 150-200 Jahre alt. Die Köchin hat fünf oder sechs Suppen zubereitet, alle auf Basis von Linsen und Olivenöl, einer Art Kichererbsen (“cicerchie”) mit Speck und Tomaten, Grieß und vielen, vielen Kräutern, die in den Bergen unter Buschwerk gepflückt wurden. Ihr Geschmack ist kräftig und ein wenig wild. Der rote Landwein ist einfach, aber er passt gut zum Zickel in der Röhre. Die Atmosphäre allerdings ist sehr edel: Die mittelalterlichen Mauern sind vollständig restauriert, unter einem gläsernen Fußboden sind angestrahlte Ruinen zu erkennen und es ertönt keltische Musik.

Ich fahre weiter nach Tolentino, wo man unbedingt einen Aufenthalt bei der Kirche San Nicola einplanen sollte. Bewundernswert der Capellone, eine große Kapelle innerhalb der Kirche, die mit einem ganz großartigen Freskenzyklus im Stile der Rimini-Schule des 14. Jahrhunderts ausgemalt ist, wohl dem schönsten seiner Art in den Marken.

Auf dem Rückweg mache ich an der Kirche S.Claudio al Chienti Halt, die auf dem Lande in der Nähe von Corridonia gelegen ist. Dieses einzigartige romanische Bauwerk ist wohl das bedeutendste der Region. Uralt ist die Kirche, geht auf das 5.–7. Jahrhundert zurück. Die beiden Ecktürme sind von zylindrischer Form, ähnlich der byzantinischen Architektur in Ravenna.

Abendessen im “Orto dei Cappuccini” (Kapuzinergarten). Die Besitzer des kleinen, ehemaligen Klosters, ein Ehepaar, sind beide von Hause aus Architekten. Nach einer Arbeitszeit von fünfzehn Jahren wurde die Restaurierung fertiggestellt. Jetzt fungiert die Frau als Köchin des Restaurants und bereitet traditionelle Gerichte zu, deren Zutaten dem eigenen bäuerlichen Betrieb entstammen: “Ciauscolo”, eine weiche Wurst, die als Brotaufstrich dient, Schafskäse mit Quittenmarmelade, Innereien vom Schaf, Kaninchen auf Jägerart, usw., usw…..Dazu als Weine der Verdicchio di Matelica und der Rosso Piceno. Zu Ende des Mahls ein Glas Vin Cotto, ein süßer und likörähnlicher Wein.

Die Provinz Macerata ist nicht nur für ihre bäuerlichen Produkte bekannt, sondern hier werden u.a. auch Schuhe, Handtaschen und Konfektionsartikel hergestellt, die in ganz Italien und in der Welt bekannt sind. Wer möchte, kann hier zum Abschluss der Reise einige der Waren im Direktverkauf zu sehr günstigen Preisen erwerben.

Info:
Azienda speciale della Camera di Commercio Industria, Artigianato ed Agricoltura di Macerata: www.exitonline.it
www.confindustriamacerata.it


Monte S.Martino (Foto P.Gianfelici)

Tolentino: S.Nicola (Foto P.Gianfelici)
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