Terra Italia

Im herrlichen Palazzo Cavour wird das traditionelle Bürgertum zu neuem Leben erweckt

Chiara Lignarolo

Bis zum 27. Juni wird mit Hilfe von Portraits, Genremalerei, Drucken, Radierungen, Lithografien und Photografien die Welt der Bürger beleuchtet. Dabei werden negative und positive Aspekte deutlich.


A. ROLL, “Le Retour du bal”, 1886

A.TOULMOUCHE, “Le Billet doux”, 1883

Turin (Terra Italia) – “Das Bürgertum im Spiegel. Der Image-Kult zwischen 1860 und 1920“ – so der Titel einer großartigen Ausstellung, die unter künstlerischer Leitung von Annie-Paule Quinsac und der Schirmherrschaft der Regione Piemont in Turin stattfindet.

Es handelt sich dabei um eine interessante Lesart eines vielschichtigen Phänomens, nämlich um den Image-Kult, der seine Wurzeln in der bürgerlichen Gesellschaft in der Zeit zwischen der Einheit Italiens und dem Beginn des Faschismus hat. Diese Gesellschaft macht sich zum Sprachrohr einer Kunstrichtung, die ihre eigene Welt in den Mittelpunkt des Interesses rückt, einer Welt, die von mühevoll errungenen Privilegien geprägt ist, die sie dann zwangsläufig auch zur Schau stellen muss.

Die – vorwiegend italienischen – Werke stammen von namhaften Künstlern wie Daniele Ranzoni, Giuseppe De Nittis, Lorenzo Delleani, Giacomo Grosso und Tranquillo Cremona. Die Ausstellung, die auch einige bisher nie gezeigte Kunstwerke aufweist, kann dank der Beteiligung nationaler Museen Frankreichs einen Vergleich zur großen europäischen Malerei herstellen (s. Bouguereau, Zuloaga, Stevens, Valotton).
Interessant hier die Zusammenarbeit mit dem Museum Goupil in Bordeaux, das 69 Drucke zur Verfügung gestellt hat. Durch innovative Drucktechniken hat das Museum Goupil die Umsetzung vom Gemälde zum Bild ermöglicht. Die Werke sind nach thematischen Schwerpunkten geordnet, als da wären Portraits, Veranstaltungen. Empfänge, Orte der Sommerfrische.

So begegnen uns in den Bildern die eindringlichen und melancholischen Blicke von Herren in prächtiger Kleidung, deren schimmernder Glanz in himmelblauen, rosa- und cremefarbigen Tönen strahlt. Daneben die gedämpften, kaum nuancierten Farben bei den flatternden Kleidungsstücken in den Gemälden von Giovanni Zangrando, wie zum Beispiel in seinem Werk „Il passeggio Sant’Andrea a Trieste“ aus dem Jahre 1898. Kindergesichter mit „reinem“, aber auch hinterhältigem Gesichtsausdruck in Ranzonis „Kinderportrait“ (1877). Und weitere melancholische Blicke in Giovanni Sottocornolas „Raccoglimento“ (Besinnung) aus dem Jahre 1906, deren Wurzeln in einer Kindheit zwischen äußerem Schein und Verpflichtungen liegen. Hin und wider zeigt sich ein Anflug von Freude – in einer leichten Regung der Gesichtszüge oder in einer nicht ganz akkuraten Bewegung – , aber die Atmosphäre, die überall durchscheint, ist geprägt von festen Regeln und dem Anspruch, dem äußeren Anschein zu genügen.

Wie bei einem Photoalbum werden hier Bilder festgeschrieben. Dargestellt werden vornehme Damen, Kinder in Erwachsenenkleidung, Herren mit langen Schnurrbärten, eigenartigen Frisuren und Fahrrädern mit großen Reifen, eine Generationen-Schau auf imposanten Familienphotos. Sozusagen eine Reise in die Vergangenheit, und das nicht nur für Kunstsachverständige, sondern für alle diejenigen, die in diese fast romanhafte Welt eintauchen möchten. Und all dies wird umrahmt von der märchenhaften Musik eines Ravel, Debussy oder Jacques Offenbach, die den Rundgang musikalisch begleiten. Ihre Klänge lassen vor unseren Augen das Bild einer durch Glanz und faszinierender Dekadenz geprägten Gesellschaft erstehen, die unwiderruflich der Vergangenheit angehört.

INFO:
„La borgesia allo specchio. Il culto dell’immagine dal 1860 al 1920”.
Palazzo Cavour, Via Cavour 8, Turin

Tel.:+39 011 530690; Fax: +39 011 531117
www. palazzocavour.it
E-Mail. info@palazzocavour.it

Dienstags bis Sonntags geöffnet von 10 bis 19.30 Uhr, donnerstags von 10 bis 22 Uhr.
Eintrittspreise von 2.50 bis 6.20 Euro


G.DE NITTIS, “Sul lago dei quattro cantoni”,
1882-1883
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