Terra Italia

Der Erfolg des gefesselten Orang-Utans: Karneval 2003 in Viareggio

Alessandra Riva

Umzug prachtvoller Maskenwagen und farbenfrohes Feuerwerk zum Abschluss des 130. Karnevals von Viareggio. Die erstaunlichen Pappmaché-Gebilde karikierten vor allem die italienische Politik. Der Sieger des Wettbewerbs prangerte Tierversuche an.



Das lächelnde Gesicht von König
Karneval („Im Reich des Karnevals“)

Viareggio (Terra Italia) – Wenn jemand am Sonntag, dem 9. März, nachmittags zum Strand gehen wollte, fand er die Seepromenade abgesperrt vor. Nur mit einer Eintrittskarte konnte man durch die mit großen Masken verzierten Gittertüren an der Piazza Mazzini zur Promenade gelangen. Hier aber wartete eine große Überraschung: riesengroße Faschingswagen, so hoch und imposant wie mehrstöckige Gebäude, aber viel bunter und lustiger! Um sie in ihrer vollen Pracht sehen zu können, musste man freilich noch einige Stunden bis zum Umzug in der Dämmerung warten.

Der diesjährige Karneval war besonders „sauber“, denn Sprühdosen waren längs des Umzugswegs verboten. So konnten die Zuschauer sorglos die Veranstaltung genießen, und die prächtigen Maskenwagen – wahre Kunstwerke aus Pappmaché – wurden nicht beschmiert. Einmal im Leben hat wohl jeder Italiener in der Karnevalszeit mit Rasierschaumdosen auf der Strasse „gekämpft“: ein aufregender Spaß für die Jugendlichen, jedoch gar nicht für die Erwachsenen, die zufällig besprüht werden!

Pünktlich um 17.00 Uhr weckten drei Schüsse die Riesen aus Pappmaché auf, die sich sofort zu bewegen und zu funkeln begannen. Die Musik wurde beim Start des heiteren Umzugs immer lauter! Was für ein Erstaunen angesichts der Größe und der Spezialeffekte dieser Maskenwagen! Die großartigsten erreichten die Terrasse im 4. Stock des Palace Hotels, die einen wunderbaren Blick auf das Meer und den Festzug bietet, und überragten sie noch. Die gigantischen Figuren bewegten ihre Augen und schienen den Zuschauern verschmitzte Blicke zuzuwerfen; oder sie drehten sich um die eigene Achse, hoben ihre Arme und ließen sie wieder sinken. Es war wirklich großartig, wie diese Faschingskunstwerke lebten! Inmitten der zehn kolossalen Pappmaché-Figuren der ersten Kategorie zogen fünf kleinere Maskenwagen und zehn Maskengruppen vorbei. Alle beeindruckten mit ihren Farben und Kostümen, mit Phantasie und Heiterkeit.

Der einzige Makel des Umzugs war zu viel Politik als Thematik. Die meisten Allegorien karikierten nämlich italienische Politiker, insbesondere den „armen“ Ministerpräsidenten Berlusconi, der auf vielen Faschingswagen ins Lächerliche gezogen wurde. Einige Beispiele: In „Il signore degli anelli“ (Der Herr der Ringe) sieht er wie ein mächtiger Zauberer aus, der gegen einen roten Drachen kämpft, und in „Avanti come i gamberi“ (Vorwärts wie die Krebse) reitet er auf einem riesigen Krebs, der die Tendenz unserer politischen Lage darstellt… Auch in „Sentite condoglianze“ (Herzliches Beileid) sind die Hauptfiguren Berlusconi und sein treuer Journalist Emilio Fede: Der Ministerpräsident ist gestorben, und Fede weint und spielt ein Trauerlied vor. Aber was für eine witzige Überraschung! Wenn sich der Sarg öffnet, macht ein gesunder Silvio Berlusconi mit der Hand die „corna“ (ungefähr: zeigt er allen den Vogel)!

Es ging aber nicht nur um Politik. Ein enormer Maskenwagen kritisierte das Verkehrsproblem: Ein riesiger Polizist herrscht über einige kleine grüne, blaue oder rote Autos, die an den Seiten des Wagens hängen, und von vorne fährt ein ungeheuerer blauer LKW mit Augen und Zähnen in ein rotes Feuer hinein und wieder heraus. Unter den bunten Maskenwagen fiel die schwarz-weiße „Fantastampa“ (Phantasiepresse) auf, die einen von der heutigen Presse gefangenen Leser darstellt.

Der Faschingswagen „La mente intelligente“ (Der intelligente Verstand) hat verdientermaßen den 130. Faschingswettbewerb gewonnen. Er zeigt einen weinenden, in Ketten gelegten Orang-Utan, der sein erschrockenes Baby in den Armen trägt. Kaum zu glauben, dass sein violetter bzw. orangenfarbiger Pelz kein reales Fell ist! Das Gesicht der Figur ist sehr ausdrucksvoll: Das Pappmaché-Riesentier schließt seine Augen und zieht die großen Lippen zusammen, um in einer Grimasse seine Verzweiflung zu vermitteln. Dieser Faschingswagen versinnbildlicht das Leiden der Natur unter der Herrschaft der Menschen, die dank ihres „intelligenten Verstands“(?) Erfindungen ausgedacht haben, die zur Zerstörung der Umwelt führen. Er verweist auch auf die Tierversuche, deren Opfer häufig Affen sind.

Nach der Preisverleihung war es dann Zeit, das spektakuläre Feuerwerk zu bewundern. Eine vielfarbige Blitzkaskade beleuchtete eine halbe Stunde lang den Sternenhimmel und eroberte die Herzen Tausender von Zuschauern. Dieser erstklassige Abschied vom Karneval war aber auch schon eine reizvolle Einladung zu den Veranstaltungen im Jahr 2004.

INFO: www.viareggio.ilcarnevale.com; Fondazione Carnevale di Viareggio, Palazzo delle Muse, Piazza Mazzini 22 – 55049 Viareggio (LU). Tel. +39-0584-962568; Fax: +39-0584-47077. E-Mail: postmaster@ilcarnevale.com.


„Der intelligente Verstand“,
der Sieger des Maskenwagen-Wettbewerbs
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