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Castelfranco Veneto

Die Stadt ist von roten Ziegelmauern umgeben, deren Farbe sich im Sonnenuntergang intensiviert. Im Dom kann man das Gemälde „Pala di Castelfranco“ des Malers Giorgione bewundern.

Castelfranco Veneto

Text: Lisa Mittelberger

Die Entdeckung von Castelfranco Veneto beginnt im Dom von Santa Maria Assunta. Das frühlingshafte Morgenlicht hüllt das Kirchenschiff in eine mystische Atmosphäre. Die Stimmen eines Chors begleiten mich bis zur Costanzo-Kapelle, wo mich das Gemälde „Pala di Castelfranco“ des Malers Giorgione erwartet. Der Feldherr Tuzio Costanzo hat das Gemälde nach dem Tod seines Sohnes in Auftrag gegeben. Die thronende Madonna mit Kind blickt traurig, mit gesenktem Kopf und auf den Sarkophag von Mattia. Im Vordergrund stehen die Heiligen Franziskus und Nicasius, der eine schwarze Rüstung trägt. Das Bild aus dem späten 15. Jahrhundert ist ein Werk, von dem es schwer ist, den Blick abzuwenden, und es berührt mich zutiefst, weil es die Trauer bildlich ausdrückt. Meine Augen wandern von einem Punkt zum anderen des Gemäldes. Ich verweile bei den Farben, bei dem kostbaren Stoff, der vom Sockel, auf dem die Madonna sitzt, bis zum Sarkophag hinabreicht und bei der angedeuteten Landschaft in zarten Farben. Es ist eines der wenigen Werke, die mit Sicherheit Giorgione zugeschrieben werden kann. Giorgione wurde in Castelfranco geboren, aber Dokumente über sein Leben sind kaum vorhanden.

Kunst erweist sich sofort eines der Hauptthemen, um die Stadt zu erkunden, doch in Castelfranco Veneto folge ich auch die Spuren einer tiefen Spiritualität. Bevor ich die Kirche verlasse, besuche ich noch die Sakristei, wo eine kleine Pinakothek zu sehen ist. Auf dem Gemälde „Abendmahl von Emmaus“ von Paolo Piazza kann man eine seltene Darstellung einer venezianischen Küche aus dem 16. Jahrhundert sehen: zwei Köchinnen sind in voller Aktivität zwischen Geschirr, Kochtöpfen mit Flusskrebsen und Geflügel, die bereit zum Kochen sind. Neben Kunst und Spiritualität steht auf mein Programm in Castelfranco Veneto nun auch die Gastronomie des Gebietes.

„Unsere Zeit ist der Durchgang eines Schattens“: Giorgione hat diese Worte auf dem Fries des Saales in der Casa Pellizzari gemalt. Das Gebäude, das jetzt das Giorgione Museum beherbergt, wurde früher als das Geburtshaus des Künstlers betrachtet. Das kleine Museum ist eine echte Eintauchung in seine Welt und bestätigt die Ungewissheit um das Leben und Werk des Künstlers. Auf dem Fries betrachtet man Musikinstrumente, Rüstungen, Geräte für Geometrie, Astronomie, Malerei und Architektur. Es könnte eine Darstellung der humanistischen Welt sein, aber auch eine Art Vorahnung auf Unglück und Umstürze, wegen einer damaligen, planetarischen Konjunktion.

Ich verlasse die intime Atmosphäre des Museums und setze meinen Spaziergang durch die Stadt fort. Die Wolken spielen hinter den Glockenturm mit dem blauen Zifferblatt der Uhr und des Markuslöwen Versteck. Ich befinde mich im Zentrum von Castelfranco Veneto. Die Stadt ist von roten Ziegelmauern umgebene, deren Farbe sich im Sonnenuntergang intensiviert. Gleiches gilt für das quadratische Schloss, von dem Castelfranco seinen Namen hat, da es für seine ersten Bewohner eine „freie“ Burg war, wo man keine Steuern zahlte. Ich schlendere angenehm ohne ein bestimmtes Ziel und genieße die ruhige und ordentliche Atmosphäre. Mir fällt ein, dass diese Stadt nicht nur die Heimat eines großen Malers wie Giorgione ist, sondern sie selbst eine Künstlerin ist, die wie eine große Persönlichkeit nicht prahlt, aber viele Meisterwerke zu zeigen hat.

Um dem Thema der Spiritualität zu folgen, verlasse ich die Stadt und erreiche das Dorf von Riese Pio X. Das Museums-Haus des Papstes, der 1954 heiliggesprochen wurde und dessen Name dem der Stadt hinzugefügt wurde, zeugt vom einfachen, aber frommen Leben seiner Familie. Giuseppe Melchiorre Sarto trat mit einem Stipendium des Patriarchen von Venedig in das Paduaner Priesterseminar und ging 1903 als neuer Papst aus dem Konklave heraus. In der Stille dieser Zimmer befinden sich die echten Möbel der Familie Sarto und man kann sich den Alltag der Familie und den zukünftigen Papst beim Beten gut vorstellen.

Eine weitere intensive Emotion erwartet die Besucher im „Memoriale Brion“, ein Grabkomplex, das von der Familie Brion der Stiftung für Denkmalpflege und Naturschutz in Italien (FAI) gespendet wurde. Es war die Witwe des Unternehmers Giuseppe Brion, Onorina, die die Realisierung dieses sehr speziellen Grabkomplexes wollte, der zwischen 1970 und 1978 vom großen Architekten Carlo Scarpa dann geschaffen wurde. Man betritt den kleinen Friedhof des Dorfes San Vito d’Altivole, und schon nach wenigen Schritten erlebt man die Emotion einer Liebe, die auch nach dem Leben das Ehepaar Brion für die Ewigkeit vereint. Auch Scarpa ist in einer abgelegenen Ecke des Komplexes begraben. Die gelungene Idee von Scarpa war, den Besucher mit der Architektur auf einen Weg zu begleiten wo im Mittelpunkt das Grab des Ehepaars steht. Symbole wie die zwei ineinander verschlungenen Kreise, die sich in der Betonmauer öffnen und den Durchblick auf die Gartenanlage bieten, bereichern die Erfahrung. Das „Memoriale Brion“ ist ein Ort, wo jeder eigene Gedanken und Erinnerungen nachfolgen kann. Der bewegendste Moment war für mich die Ansicht der beiden Sarkophage, die einander zugeneigt sind und sich auf einer schwenkbaren Basis befinden. Das schwere, kostbare Marmor ist logischerweise unbeweglich ist, aber während ich das Grabkomplex verlasse, will ich mir vorstellen, dass in der Stille der Nacht die Sarkophage aufeinander zubewegen, sich berühren und wieder Kontakt aufnehmen.

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