Terra Italia

Versilia-Küste: Auf den Spuren von Thomas Mann

Richard Brütting



 Die berühmte ‚italienische’ Novelle „Mario und der Zauberer“, die zeitgeschichtliche Ereignisse der 1920-er Jahre beleuchtet, geht auf einen Badeurlaub Thomas Manns in Forte dei Marmi zurück.

Puccini vor seinem Landhaus
(Foto:R.Brütting)

Villa Puccini
(Foto:R.Brütting)

Forte dei Marmi (TID-Press) – Die weit ins Tyrrhenische Meer ragende Laderampe von Forte dei Marmi, einem von Michelangelo gegründeten und 1788 mit einem Festungswerk ausgestatteten Ort, wurde jahrhundertelang zur Verschiffung der in den Apuanischen Alpen gebrochenen Marmorblöcke genutzt. Durch die ‚Via Thomas Mann’ hat Forte dei Marmi jenen Schriftsteller geehrt, der hier vom 31.8. bis 13.9.1926 mit seiner Frau Katia und seinen beiden jüngsten Kindern, dem siebenjährigen Michael und der achtjährigen Elisabeth, einen Badeurlaub verbrachte. 1930 hat Thomas Mann die politisch-moralische Novelle „Mario und der Zauberer“ veröffentlicht, die auf seine in Forte dei Marmi gemachten Erfahrungen mit der beginnenden faschistischen Diktatur zurückgeht:

Der aus Deutschland angereiste Erzähler verspürt in „Torre di Venere“ (so heißt Forte dei Marmi in der Novelle) von Anbeginn an eine überreizte Atmosphäre. Der Aufenthalt im „Grand-Hôtel“ wird ihm dadurch vergällt, dass seine Familie nicht – wie andere Gäste – auf der Terrasse speisen darf. Die Gemahlin eines „Principe X.“ beschwert sich über den Husten des Sohns des Erzählers und lässt auch dann nicht davon ab, als ein Arzt die Harmlosigkeit der Erkältung bescheinigt. Dies alles bewegt die Familie des Erzählers, in die bescheidenere, aber sympathische „Pensione Eleonora“ umzuziehen. Am Strand belästigt ein boshafter Junge die aus verschiedenen Ländern stammenden Kinder, die untereinander ‚patriotische’ Wettkämpfe um den Vorrang ihrer jeweiligen Nation austragen. Das Töchterchen des Erzählers (es ist „mager wie ein Sperling“) erregt mit kurzzeitiger Nacktheit einen öffentlichen Aufruhr, als es seinen Badeanzug auszieht, um ihn auszuwaschen. Die Behörden ahnden dieses ‚Vergehen’ mit einer Strafgebühr von 50 Lire.

Gedrängt durch die Kinder, besucht die Familie des Erzählers die Abendvorstellung des verkrüppelten Zauberers Cipolla. Dieser führt dem Publikum selbstgefällig humorlose Kunststücke vor und beeindruckt es durch hypnotische Manipulationen. Widerreden bestraft er, indem er die Kritiker zu schmerzverzerrten, lächerlichen Marionetten werden lässt. Zum Schluss entreißt er dem Kellner Mario durch geschicktes Fragen das Geheimnis seiner verborgenen Liebe zu Silvestra. Indem er Mario suggeriert, er, der Zauberer, sei Silvestra, bringt er diesen sogar dazu, ihn auf seine welken Wangen zu küssen. Aus seiner Hypnose erwacht, wird sich Mario dieser Demütigung bewusst und erschießt Cipolla, was der Erzähler als ein befreiendes Ende empfindet.

Bei einem Besuch der Versilia sollte man nicht unterlassen, den Spuren dieser Novelle zu folgen: Immer noch gibt es in Forte dei Marmi die „Pensione Eleonora“ – jetzt ist es das kürzlich renovierte Drei-Sterne-Hotel „Regina“. Das ehemalige „Grand-Hôtel“ wurde durch einen Neubau ersetzt, steht aber immer noch an gleicher Stelle. Auch die meisten Ortsnamen sind bereits entschlüsselt: Dem mondänen „Porteclemente“ der Novelle entspricht Viareggio, und „Marina Petriera“ ist Marina di Pietrasanta. „Torre di Venere“ kommt sicher, was „Venere“ angeht, vom unweit nördlich von Forte dei Marmi gelegenen Badeort Portovenere. Gleichzeitig spielt Thomas Mann damit auf den Liebesmythos von ‚Frau Venus’ sowie auf das Adjektiv ‚venerisch’ und die entsprechenden Krankheiten an.

Spannender ist die Herkunft des Bestandteils „Torre“: Lange Zeit meinte die Thomas-Mann-Forschung, „Torre“ leite sich von der süditalienischen Stadt „Torre di Greco“ [recte: Torre del Greco] ab. Aber warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah! Nahe bei Forte dei Marmi liegt das Städtchen Torre del Lago, bekannt durch das seit 1930 alljährlich stattfindende Puccini-Festival. Torre del Lago war der Lieblingsort, das „Paradies“ von Giacomo Puccini (1858-1924), wo er die meisten seiner musikalischen Werke schuf und mit Freunden seiner Jagdleidenschaft frönte. Zuerst bewohnte er dort eine Mietwohnung, seit 1900 jedoch ein idyllisch am Massiciùcoli-See gelegenes, teilweise selbst entworfenes Landhaus, die Villa Puccini, wohin 1926 die sterblichen Überreste des Maestro von Mailand aus überführt wurden.

Der Hinweis auf Torre del Lago ist auch dadurch begründet, dass Thomas Mann auf die Nähe Puccinis zum Faschismus hinweisen wollte: Der Komponist nahm u.a. die Ehrenmitgliedschaft der Faschistischen Partei an und ließ sich von Mussolini zum Senator ernennen – wenngleich er seine Briefe teilweise in spöttischer Selbstironie mit „Sonatore del Regno“ (Musiker, Neu-Töner des Königreichs) unterzeichnete. Aber diese für den überempfindlichen und selbstbezogenen Menschen Puccini nicht ungewöhnlichen Widersprüche können nicht vergessen machen, dass sein Werk – nach dem von Verdi – die Spitzenstellung im italienischen Musiktheater einnimmt und zum Repertoire aller Opernhäuser gehört.

Der Spurensuche zu Thomas Manns Novelle gebührt auch ein Besuch der einsam in unberührter Natur gelegenen Gedenkstätten von Sant’Anna di Stazzema im Hinterland von Forte dei Marmi. Sie sind auf einer steilen Bergstraße zu erreichen und erinnern an das am 12. August 1944 von SS-Truppen und ihren italienischen Helfershelfern angerichtete Blutbad, bei dem etwa 560 Personen niedergemetzelt wurden. Ein solcher Besuch wäre ein Beweis, dass weder Thomas Manns Warnung vor autoritären Ideologien noch die Opfer von Willkürherrschaft vergessen sind.

Info:
Hotel Regina
Via Torino, 6
55042 Forte dei Marmi
Tel. 0039-0584-787451; Fax: 0039-0584-85335
E-Mail: h.regina@libero.it; www.hotelreginaforte.it

Gedenkkirche in Sant’Anna
(Foto:R.Brütting)

„Pensione Eleonora“/Hotel Regina
(Foto:R.Brütting)
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