Terra Italia

Essen und TrinkenCasalese: Das Paradies im Infernott

Paolo Gianfelici


 In der „Komödie der Bratpfanne“ von Lu Monferrato unterrichtet Signora Vilma ihre Gäste in der Kochkunst.

Casale Monferrato (Tid-press) – Hinter einer bescheidenen Fassade verbirgt sich eine prächtige Synagoge aus der Barockzeit mit Decke und Wänden, die auf blauem Grund mit Malereien und Stuck verziert sind. Das auf den mit engmaschigen Holzgittern geschützten Emporen eingerichtete Museum für Kunst und alte Geschichte des Judentums öffnet die Augen des Besuchers für eine unbekannte Welt, die von Gebetbüchern, Kandelabern, kostbaren Stoffen und getreuen Darstellungen jüdischer Feste repräsentiert wird. Nach dem Brauch des Paschamahls, wie es eilig vor dem Auszug aus Ägypten verzehrt wurde, ist ein Tisch mit ungesäuertem Brot, Eier, Wein und den symbolischen Bitterkräutern angerichtet.

Hier ist der Ausgangspunkt für eine Tour durch das Basso Monferrato, eine Gegend berühmter Weine wie dem Grignolino und dem Barbera, die gut zu Gerichten von kräftigem Geschmack passen, z.B. zu geschmortem oder gekochtem, mit vielfarbigen Soßen gewürztem Lammfleisch.
Beginnen wir jedoch bei den Süßspeisen: Seit 130 Jahren werden die berühmten Krumiri von der Familie Rossi in einer Backstube in der Via Lanza in Casale hergestellt. Trotz ihrer einfachen Rezeptur – Zucker, Eier, Butter, Weißmehl und Vanille – schmecken sie ausgezeichnet. Ein Bäcker ergreift sie, während sie aus der Teigmaschine kommen, und gibt ihnen die Form eines Schnurrbarts (anscheinend hat der Schnurrbart von Vittorio Emanuele II., dem ersten italienischen König, Modell gestanden). Nachdem sie einen Tag geruht haben, werden die Plätzchen bei einer Temperatur von 300 Grad gebacken und erhalten dadurch die Farbe von Schokolade. Sie schmecken bestens zu Cappuccino, Tee und zu Trinkschokolade oder zu einem Glas Süßwein nach dem Essen.

Der Po bei Casale Monferrato/ Alexala

Das Alto und das Basso Monferrato sind zwei gegensätzliche Welten. Gegen den Appennin hin gelang es der Hand des Menschen lediglich, Umrisse in die Linien einer ansonsten wilden Natur zu zeichnen.
Die Hügel des Basso Monferrato fallen dagegen langsam in Richtung Po ab und sind von Weinbergen und Obstanlagen bedeckt, die Gärten ähneln.
Deutlich wird dieser Gegensatz sofort an den Geschmacks- und Aromaunterschieden der zwei Küchen, die beide zwar wohlschmeckend, aber eben verschieden sind. Die Speisen des Casalese sind raffinierter, reicher an Zutaten und daher ‚komplexer’, obwohl sie unzweifelhaft Ausdruck einer kräftigen Bauernküche sind.

Ein konkretes Beispiel findet man in Lu Monferrato im Restaurant “La Commedia della pentola”. Signora Vilma empfängt einen am Eingang des alten Bauernhauses, das von Kirschbäumen, Nussbäumen und Haselnusssträuchern umgeben ist. Zwischen Eichen sind 200 Nistkästen angebracht, um Vögeln ein ungestörtes Brüten zu ermöglichen. Beim Mittagessen unter einer Pergola wird man in der schönen Jahreszeit vom Duft der Blumen und Kräuter umhüllt.

“La Commedia della pentola”/ Tid-press

Die „bagna cauda“/ Alexala

Auf dem Speiseplan der Küche steht eine Reihe typischer Gerichte des Monferrato, die Vilma neu interpretiert hat.
Vorspeisen: marinierter Aal mit Reis; kleine, mit Pistazien und grünen Äpfeln gefüllte Rouladen aus Kaninchenfleisch;
erster Gang: mit Nüssen und Safrancreme gefüllte Gnocchi; hausgemachte, mit Fleisch gefüllte Nudeltaschen; Teigwaren mit Gemüse;
zweiter Gang: entbeintes Perlhuhn mit Pilzen; Schmorbraten in Barolo; Filethäppchen mit Artischockenherzen;
Nachspeisen: gelierter Obstsalat mit Malvasia aus Casorzo; gefüllte Pfirsiche und Birnen.
Vilma begnügt sich nicht mit der Beobachtung ihrer Gäste, wie sie das Mittagsmahl einfach nur genießen. Sie möchte nicht, dass sie weggehen, bevor sie ihnen nicht etwas von ihrer Kochkunst beigebracht hat.
Wir begeben uns alle in die Küche und folgen ihren Anweisungen, um einen Nusskuchen zu backen. Man macht einen Teig aus Butter, Zucker, Mehl, Hefe, Eigelb und ganzen Eiern, abgeriebener Zitronenschale, Mandeln, gerösteten und grob gemahlenen Nüssen. Wenn der Kuchen aus dem Ofen kommt, gießt man geschmolzene Schokolade darüber – das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen!
Die regionale Vinothek des Monferrato hat ihren Sitz in Vignale in einem Palast aus dem 15. Jahrhundert. Dieses mittelalterliche Dorf mit nur 1000 Einwohnern verdient einen Besuch allein schon wegen seiner Burg, den Palästen, Türmen, Kirchen und wegen des prächtigen Ausblicks auf die mit Weinbergen bedeckten Hügel.
Der Callori-Palast ist das prächtige Schaufenster der besten Weine des Calese: Barbera, Grignolino, Freisa und Cortese. Der „unbeständige und launenhafte“ Grignolino, der typische Wein der Gegend, ist hell und rubinfarbig; er hat ein delikates Aroma und schmeckt nach Tannin. Wie der saurere und körperreichere Barbera mundet er zur „bagna cauda“ (Sardellen, Öl und Knoblauch), gekochtem Fleisch und Brühwurst.
Die wertvollsten Weine der Kellerei lagern im „Infernott“ (in der kleinen Hölle), der am weitesten vom Eingang entfernten Höhle, wo es weniger Luft gibt, kühler ist und der Bestand auch über Jahrzehnte gut konserviert wird.
Außer den großen Weinen ist das Monferrato auch die Gegend der großen Trauben. Die seit 1846 im Besitz der Familie Mazzetti befindliche Brennerei von Altavilla ist die älteste Firma des Piemont. Die Weinbrände werden unmittelbar nach der Traubenernte aus Trester destilliert, wenn sie noch frisch und aromatisch sind. Der Grappa altert mindestens ein Jahr in Eichenholzfässern aus Slavonien. Die besten Brände, die ich verkostet habe, wurden aus Malvasia- und Nebbiolo-Trauben aus Barolo hergestellt.
In den aus Tuff und Backsteinen gemauerten Räumen, in denen sich die Brennerei aus dem 19. Jahrhundert befindet, wurde das Grappa-Museum eingerichtet, wo die antiken, mit Dampf betriebenen Destillierkolben aufbewahrt sind. Nicht nur die Geschichte der Brennereitechniken ist dort präsent, sondern ein Stück italienischer Geschichte der letzten 150 Jahre. Dokumente über die Aufträge des Heeres und fotografische Aufnahmen aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs bezeugen, dass die Soldaten ohne Grappa der Kälte und den Strapazen nicht hätten standhalten können. Der Aquavit war auch die Droge, welche die Soldaten den Mut und die Angriffslust finden ließ, um mit Stichwaffen zur Attacke überzugehen.
Heute hat der Grappa glücklicherweise nicht mehr diese ‚tröstlichen’ Funktionen. Trotzdem ist der feinste, 15 Jahre alte Brand, an dem ich im Ausstellungsraum von Altavilla nippe, nicht nur äußerst angenehm für den Gaumen, sondern ihm entströmt auch der geheimnisvolle Zauber der Dinge, die tief verwurzelt sind.
Übersetzung: Richard Brütting

Info:

www.alexala.it
info@alexala.it
www.altavilla.com
www.lacommediadellapentola.it

01.05.2006

Altavilla: Musem des Grappa/ Tid-press

L’infernott/ Alexala

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