Terra Italia

West-Sizilien: die Pforte Italiens

Paolo Gianfelici

Trapani, im August (Terra Italia) - "Italien ohne Sizilien", so schrieb Goethe, "macht gar kein Bild in der Seele: hier ist der Schlüssel zu allem". In keiner anderen Region spürt man den Ursprung Italiens und sein
mediterranes Wesen so deutlich wie hier.

Wer keine Eile hat, für den ist das Schiff das geeignetste
Verkehrsmittel, um nach Sizilien zu gelangen. Der aus Zentraleuropa kommende Reisende hat einen Liniendienst zur Verfügung, der jeden Abend vom Hafen Genua ausläuft. Die großen Schiffe der Grimaldi Group, die mit dem Komfort der besten Kreuzfahrtschiffe ausgestattet sind, brauchen
zwanzig Stunden, um Palermo zu erreichen.
Trapani ist die am weitesten im Osten Siziliens gelegene Provinz Italiens. Sie liegt Afrika am nächsten (die Insel Pantelleria ist 70 km von Kap Mustafà in Tunesien entfernt) und ist ein ideales Gebiet, um die Ferien im Einklang mit Kunst und Natur zu verbringen, z.B. in Segesta oder
an der Laguna dello Stagnone. Man kann auch spannende Erfahrungen zu Schiff auf dem von Stürmen und Strömungen aufgewühlten Mittelmeer rund um die Ägadischen Inseln machen.
Eine erste empfehlenswerte Reiseroute geht von Segesta aus; diese uralte Stadt wurde von den Elymern mehr als 1000 Jahre v.Chr. oberhalb des Golfs von Castellammare gegründet. Nach unablässigen Kriegen gelangte die Stadt an die Karthager, danach an die Römer, um im Mittelalter unterzugehen. Der grandiose dorische Tempel von schlichter architektonischer Eleganz mit 36 Säulen liegt auf der Spitze eines Hügels, der mit mediterraner Macchia bewachsen ist: mit Agaven, Akantus, Steckenkraut … Das in den ausgehauenen Fels gebaute Theater besitzt auch heute noch eine vollkommene Akustik und wird für klassische Aufführungen genutzt. Hinter der Bühne sieht man ein
einzigartiges Panorama: den Golf von Castellammare, den Monte Inici, dessen Abhänge mit Pinien- und Eukalyptuswäldern sowie mit Weinbergen bedeckt sind, während in den Talsenken Getreidefelder wogen. In wenigen
Kilometern Entfernung befinden sich das Dorf Calatafimi und die Orte, an denen sich 1860 die für die staatliche Einigung Italiens ausschlaggebende Schlacht zwischen Garibaldis ‘Zug der Tausend’ und dem König Beider Sizilien abspielte.
“Im Umkreis weniger Kilometer von Segesta”, bemerkt unsere Führerin Virginia, “begegnen sich 3000 Jahre sizilianischer Geschichte”. Virginia Aloisi, die Präsidentin der Federagit (Vereinigung der Fremdenführer und Dolmetscher) von Trapani, hat nicht nur die Fähigkeit, erschöpfende
Informationen über die besichtigten Orte zu liefern, sondern kann auch anderen Personen jenes überaus leidenschaftliche Gefühl zu vermitteln, das sie für ihre Heimat empfindet.
Von Segesta aus begeben wir uns mit dem Auto zu der nahe bei Marsala gelegenen Laguna dello Stagnone. Am äußersten nordwestlichen Punkt Siziliens formt das Meer eine Lagune, die im Westen von der Isola Lunga und im Osten von der Küste abgeschlossen wird. Inmitten der Wasserfläche
befindet sich die Insel San Pantaleo, Sitz der phönizischen Kolonie Mozia.
Auf dem Festland erstrecken sich antike Salinen, die auch heute noch arbeiten. Sie sind einzigartig in Sizilien, weil das Salz hier noch mit der Hand gewonnen wird: Das in die Becken geflossene Meerwasser verdampft infolge der Einwirkung von Sonne und Wind. Die auf dem Beckengrund
verbleibenden Satzblöcke werden mit groben Meißeln von Männern zerkleinert, die singen und die Bewegungen gemäß den Sequenzen eines traditionellen Arbeitstanzes skandieren. Im Hintergrund sieht man zwei sehr schöne Mühlen aus dem 15. Jahrhundert, die als Wasserpumpen und zum
Zermahlen des Salzes dienen.
Mozia war eine befestigte, mit einem zweifachen Mauerring umgebene Stadt, die imstande war, eine gute Verteidigung gegen feindliche Angriffe zu gewährleisten, und gleichzeitig den phönizischen Schiffen eine sichere
Anlegestelle bieten konnte. In einem kleinen Museum kann man den “Jüngling von Mozia” bewundern. Diese griechische Statue stellt einen jungen Mann mit athletischem Körper dar, der in eine phönizische Tunika gehüllt ist.
Die Sonne will nun untergehn. Der Himmel zeigt eine kräftige rote, türkisfarbene und goldene Färbung. Die ersten Schatten des Abends legen sich über die Pflanzenwelt der Insel, über Mastixbaum, wilden Sellerie, Aloe und Solicornia, das sich von Salz nährende Gewächs.
Wir haben noch wenige Kilometer auf der Straße vor uns und kommen dann zum Baglio Oneto, der im Ortsteil Baronazzo Amalfi der Gemeinde Marsala liegt. Der Baglio ist die alte Bleibe der ilianischen Landbesitzer. Der Trend geht heutzutage dahin, diese großenherrschaftlichen Güter in moderne landwirtschaftliche Betriebe umzuwandeln. Sie sind mit hohen Mauern umgeben, welche geheimnisvolle Gärten mit Blüten aller Art umschließen.
Von der Terrasse des zinnenbewehrten Turms des Baglio Oneto, der zu einer Gästewohnung geworden ist, kann man verfolgen, wie die Sonne jenseits der Laguna dello Stagnone im Mittelmeer versinkt.
Im Restaurant des Baglio kann man selbstverständlich den frischesten Fisch kosten: Schwertfisch, Riesenhummer, gegrillten Tintenfisch. Nicht zu verachten sind auch die Vorspeisen: Thunfisch und geräucherter, mit Zitrone und Olivenöl gewürzter Schwertfisch. Zum Abschluss eignet sich ein Parfait aus den ausgesuchtesten und duftendsten Mandeln, die wir jemals probiert haben. Und da wir ja in Marsala sind, darf auch ein sehr leckerer Marsala Superiore Secco nicht fehlen.

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