Terra Italia

Saint-Vincent ist nicht mehr vom Chemin-de-Fer-Spiel fasziniert

Paolo Gianfelici

Saint-Vincent (Terra Italia) - Das 1947 eröffnete "Casino de la Vallée"

war zugleich ein Glücksfall und ein Unheil für dieses in 550 m Höhe

gelegene Städtchen, das sich im Herzen des Aosta-Tals befindet und von

Hügeln, Bergen, Wäldern und Gletschern umgeben ist. Milde Temperaturen

(“in freier Natur” wachsen Meerpinien und Palmen), strahlendes

Sonnenlicht, im Frühjahr und Sommer seltene Niederschläge, reichlich mit

Schnee versehene Skipisten sowie Thermalquellen könnten aus Saint-Vincent

einen idealen Urlaubsort machen. Dem ist aber nicht so, und zwar aufgrund

des berühmten Casinos, des größten Europas. Es ist bekannt wegen der hohen

Professionalität seiner Croupiers, für seine französischen Glücksspiele

wie Chemin-de-Fer (eine Art Bakkarat), aber auch für Black Jack, für

Amerikanisches Roulette und für seine Slot Machine.

“Allzu lange”, erklärt der Bürgermeister, Mario Borgio, “hat Saint-Vincent

nur von den Einkünften aus der Spielhölle gelebt. Dieser Wohlstand hat

einen Zustand der Passivität erzeugt. Wir sind darauf sitzen geblieben”.

Die Leute am Ort zogen es vor, den Croupier für 15 Mio. Lire im Monat oder

einen Kellner im Casino für 5 Millionen Lire im Monat zu machen, anstatt

ein Hotel oder ein kaufmännisches Unternehmen zu leiten. Deshalb ist

Saint-Vincent in den letzten zwanzig Jahren hinsichtlich der Qualität der

touristischen Dienstleistungen abgestiegen.

Aber auch die Besucher des “Casino de la Vallée” haben gewechselt.

Zunächst kamen sie mit dem Partner, der Ehefrau oder vielleicht sogar mit

der gesamten Familie, um neben den Glücksspielen auch einen Urlaub zu

verbringen. Der Spieler von heute ist von Typus “Schlage zu und

verschwinde”. Er kommt am Nachmittag am Flughafen von Turin oder Mailand

an, lässt sich im Taxi zum “Casino de la Vallée” bringen, spielt die ganze

Nacht hindurch, und in den ersten Morgenstunden verschwindet er aus

Saint-Vincent, als müsste er einem Dämon entfliehen – ohne in einem Hotel

zu Bett gegangen zu sein, vielleicht sogar, ohne in einem Restaurant

gespeist zu haben.

Die Zukunft des valdostanischen Städtchens muss neu entworfen werden. Es

muss jene Vergangenheit wieder entdecken, als das 1900 im Jugendstil

erbaute Thermalbad von Königin Margherita di Savoia und der italienischen

Aristokratie frequentiert wurde. Der Thermalpalast auf der Spitze eines

Hügels, mit Panorama-Blick auf die Alpenkette, wird gerade restauriert. In

zwei Jahren werden die Blumenornamente und die bunten Glasfenster wieder

leuchten. Neben den Kuren mit dem Heilwasser, das gegen einige Leber- und

Darmerkrankungen angezeigt ist, wird ein Fitness-Zentrum errichtet.

Betrachtet man alte Fotos von Saint-Vincent, bemerkt man, dass die

Kleinstadt vor hundert Jahren viel schöner war als heutzutage. Einige

Perspektiven sind von modernen, zu hohen Gebäuden abgeschnitten worden,

und einige Kirchen sind schlecht restauriert. Das im frühen 20.

Jahrhundert errichtete Grand Hotel Billia, das an einigen Stellen an die

Architektur alpiner Schlösser erinnert, wurde später in den 60er Jahren

verschandelt, indem man an der Fassade scheußliche Balkone aus Eisen und

Metall anbrachte, ganz zu schweigen vom neuen Flügel des Hotels, der wie

ein weiterer Schlag in Gesicht wirkt.

In den allerletzten Jahren hat die Gemeindeverwaltung jedoch einige gute

Dinge getan. Beispielsweise wurde ein großer unterirdischer Parkplatz

gebaut, und vom nächsten Sommer an wird das Stadtzentrum autofrei sein.

Wenn die Projekte und Investitionen Erfolg haben, wird Saint-Vincent in

spätestens drei bis vier Jahren wieder in der Atmosphäre einer

touristischen Stadt von einst leben. Alle Voraussetzungen hierfür sind

vorhanden: Die Natur in der Umgebung ist wunderschön, und es genügt,

einige hundert Meter in Richtung Gebirge zu gehen, um das eindrucksvolle

Panorama der Alpen zu bewundern.

Zudem nimmt Saint-Vincent eine sehr zentrale Position im Aosta-Tal ein

(www.regione.vda.it/turismo). Es liegt 86 Autobahn-Kilometer von Turin und

156 km von Mailand entfernt und ist damit ein idealer Ausgangspunkt für

Ausflüge ins Aosta-Tal (man benötigt im Pkw etwa eine halbe Stunde, um

Cervinia, Champoluc oder Aosta zu erreichen; in einer Stunde kommt man

nach Courmayeur, Gressoney La Trinité und zu den Schlössern von Verrés,

Issogne, Fénis, Saint-

Pierre ).

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