Terra Italia

Wiedergeburt einer karolingischen Klosteranlage

Richard Bruetting

San Vincenzo al Volturno ist die derzeit wohl größte archäologische Grabungsstätte Italiens. Es kommt eine Mönchsstadt ans Tageslicht, die einst für das gesamte Abendland Bedeutung hatte.


S. Vincenzo Nuovo

Blick von Glockenturm

San Vincenzo (Terra Italia) – Vom Glockenturm der rekonstruierten Klosterkirche San Vincenzo Nuovo, den uns freundlicherweise die aus Deutschland stammende Schwester Anna aufschloss, ist ein weiter Blick über die Bergwelt des Molise möglich. Der Blick fällt auf die fast unzugängliche Burg von Cerro al Volturno (14. Jahrhundert) und vor allem auf eine große “Baustelle”: Es geht dabei um die derzeit wohl umfangreichsten Ausgrabungen Italiens, welche die Benediktiner-Abtei San Vincenzo, die zu Beginn des 8. Jahrhunderts auf den Ruinen eines spätrömischen Oratoriums gegründet worden war, wieder ans Tageslicht fördern. Das Einzigartige dieser Ausgrabungstätte ist der Umstand, dass hierbei die Überreste einer bedeutenden Klosteranlage aus der Zeit Karls des Großen zum Vorschein kommen, während andere Mönchsstädte dieser Zeit durch Um- bzw. Überbauung ihre ursprüngliche Gestalt verloren haben. Seine “Konservierung” verdankt San Vincenzo allerdings keinem Vulkanausbruch oder einer Überschwemmung, sondern seiner Zerstörung im Jahre 881 durch Sarazenen, die Verbündeten des Fürstbischofs von Neapel, die Hunderten von Mönchen töteten.

Nach der Zurückdrängung der Sarazenen versuchten die Äbte des 10. und 11. Jahrhunderts, San Vincenzo im alten Glanze wieder erstehen zu lassen. Dieses Vorhaben stieß aber auf den Widerstand lokaler Adeliger, die das Kloster 1042 erneut plünderten. Deswegen verlegte Abt Gerardo das Kloster auf die andere Seite des Volturno, wo jedoch nur eine kleinere Anlage mit einer Kirche errichtet wurde, die 1349 einem Erdbeben zum Opfer fiel. Die napoleonische Zeit, das Risorgimento und die Bomben des Zweiten Weltkriegs vollendeten das Zerstörungswerk an der Überresten auch von San Vincenzo Nuovo. Erst 1965 wurde eine von Don Angelo Pantoni vorgenommene Rekonstruktion der Kirche eingeweiht. 1990 haben sich aus den USA stammende Benediktinerinnen in San Vincenco Nuovo niedergelassen, um das Kloster gemäß dem Motto “ora et labora” erneut aufleben zu lassen

Die Geschichte der Mönchsstadt wurde im 12. Jahrhundert im Chronicon Vulturnense aufgezeichnet. Es berichtet vom fränkischen Abt Giosuè, der seit seiner Wahl im Jahre 792 den Ausbau der Anlage durch die 63,5 m lange und 28,3 m breite Kirche San Vincenzo Maggiore vorantrieb, um sozusagen einen Petersdom des Südens zu errichten (wie die Grabeskirche des hl. Bonifatius in Fulda ein Petersdom des Nordens sein sollte). Pilgerhäuser, der Palast des Abts, ein Refektorium mit Ziergarten, verschiedenartige Werkstätten und Wohngebäude für die Mönche gruppierten sich um das Heiligtum, alles verziert mit Wandmalereien und Ornamenten. Im “Paradies” wurden Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Mönchen in übereinander liegenden Grabkammern bestattet, die unmittelbar an San Vincenzo Maggiore grenzten. Von besonderer Bedeutung als religiöse Kultstätten waren die Krypten. In derjenigen der Hauptkirche fanden wahrscheinlich die Gebeine des Namenspatrons Aufnahme, während Abt Epiphanius (924-924) eine zweite sog. Krypta errichten ließ, die fast unversehrt die Jahrhunderte überdauert hat und mit außerordentlich gut erhaltenen Fresken geschmückt ist. Sie sind eines der wertvollsten Zeugnisse der Wandmalerei des frühen Hochmittelalters und stellen den Pantokrator, Engel, die Gottesmutter Maria, Propheten, Märtyrerszenen usw. dar.


Das ‘Paradies’

‘Ora et labora’
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