Terra Italia

Eisacktal: Törggelen ist angesagt

Paolo Gianfelici

Auf dem Domplatz von Brixen werden Graupensuppe, Schlutzer und Maronen serviert. Es wird lediglich Traubenmost oder Wein getrunken; Bier ist streng verboten. Der barocke Dom, der Weiße Turm und die Hofburg bilden den Hintergrund für das herbstliche Fest der Aromen und Düfte.


Brixen: Domplatz (foto P. Gianfelici)

Foto P. Gianfelici

Brixen (Terra Italia) – Man muss während des Törggelfests in den Hauptort des Eisacktals kommen, um die drei Seelen Südtirols kennen zu lernen: die bürgerliche und die bäuerliche Seele und die der Bergbewohner. Der Domplatz bildet die Bühne für das herbstliche Fest der Aromen und Düfte. Innerhalb des rechteckigen Grundrisses, der von der barocken Fassade des Doms, des Pfarrhauses, des Rathauses und der Hofburg abgegrenzt wird, steigen der Geruch des Traubenmosts (“Moscht”, “Siaßer”), der gerösteten Maronen sowie die tiefen, melancholischen Töne der Blechbläser gen Himmel und lassen sich von den Alpenwinden forttragen, bis sie vielleicht die Spitze des mittelalterlichen Weißen Turms erreichen.

Das Wort ”Törggelen” findet man in keinem Lexikon der deutschen Sprache, vermutlich bedeutet es ”torchio” (Torggl), jenes Instrument, das zum Pressen der Trauben dient. Wenngleich die semantische Herkunft im Dunklen liegt, so sind dagegen die historischen Wurzeln des Törggelefests ganz klar. Zwischen Sankt Martin und Katharina (11. und 25. November) “dankten” die Bauern des Talkessels, die Vieh und Weinberge besaßen, für die fetten Weiden während der Sommermonate. Die Almsteuer wurde in Form von Weinfässern beglichen. Dies alles ereignete sich im Rahmen eines Festes, an dem auch die Stadtbewohner teilnahmen, die sich zu diesem Zweck in die Buschenschänken begaben, in jene Bauernhöfe, an denen ein belaubter Zweig als Aushängeschild hing, um dort Wein zu trinken, Maronen zu essen und Honig und Kartoffeln zu kaufen.

Das Eisacktal erlebt derzeit eine große Rückkehr zu den Bräuchen des Törggelen und der Buschenschänken (im ganzen Tal gibt es 34 an der Zahl bis hinauf zum höchsten Weinberg Italiens in Novacella/Varna oberhalb von Brixen). Dort werden alljährlich sechs Monate lang Speisen und landwirtschaftliche Produkte angeboten, die ausschließlich auf dem Bauernhof angebaut und verwertet werden. Anlässlich des Törggelefests 2003 waren fast alle Buschenschänken auf dem Domplatz von Brixen mit einem Stand vertreten. Die bäuerliche Küche Südtirols aus der Zeit vor 100 oder 200 Jahren feierte ihren no-global Triumph mit Graupensuppe, Schlutzern (halbmondförmige, mit Spinat gefüllte Pfannkuchen), canederli (Knödel), mit Wacholder und Kümmel gewürztes Bio-Sauerkraut und Würstchen, Tirtln (mit Spinat oder Sauerkraut gefüllte Teigtaschen) und Schweinsrippen mit Kartoffeln. Und so viele verschiedene Sorten Kartoffeln, angefangen bei jenen roten, die sich besonders für das Dämpfen in der Bratröhre eignen, bis zu jenen kleinen schwarzen, die für die Bratpfanne gedacht sind, und schließlich zu den Trüffel-Kartoffeln! Und selbstverständlich dürfen wir den Speck nicht vergessen, der keinesfalls nach Rauch riechen oder schmecken darf. Zum Abschluss der Mahlzeit gibt es Krapfen, ein längliches Schmalzgebäck, das mit Marmelade und Maronenmus gefüllt ist. Man trinkt nur Traubenmost und Wein aus dem Vorjahr. Der Verkauf von Bier ist streng verboten.

Das Törggelefest dauert bis zum ersten Nachmittag eines warmen Samstags im Herbst. Bei Sonnenuntergang gehe ich auf den Domplatz zurück. Er ist völlig gesäubert, in Ordnung und fast verlassen. Man kann sich nicht vorstellen, dass sich hier einige Stunden früher das äußerst lebhafte Bauernfest der ländlichen Gastronomie abgespielt hatte.

Brixen hat wieder das Aussehen einer schweigsamen Stadt der Kultur und der Spiritualität angenommen. Ich durchquere der Länge nach den Platz in Richtung der jahrhundertealten Akazie und gehe die Mauer der Dom-Propstei entlang. Im Innenhof kann man Nadelbäume und Buchen erkennen; die mittelalterlichen Häuser der Kanoniker zeichnen sich gegen die Alpen ab.

Der mittelalterliche Stadtbezirk gehört immer noch großenteils der Kirche. Das Kloster mit der Klausur der Klarissinnen kann jeden Mittwoch um 10 Uhr nach Voranmeldung beim Tourismusverein von Brixen mit einem Führer besichtigt werden, selbstverständlich in ganz engen Grenzen. Möglicherweise begegnet man Schwester Elfriede, einer 80-jährigen Frau, die sich korrekt auf Italienisch und Deutsch ausdrückt. Sie erzählt gerne vom Tagesablauf einer Klarissin und von ihren eigenen Lebenserfahrungen in einem afrikanischen Krankenhaus, bevor sie ins Kloster eingetreten ist.

In der Nähe befindet sich auch das Kloster des Dritten Ordens des Hl. Franziskus, das eine andere Faszination als jenes der Klarissinnen ausstrahlt und vollständig besichtigt werden darf. An den Türen der Zellen stehen die Namen der dort wohnenden Schwestern. Am Ende eines Flurs befindet sich das Pestkreuz: Ein von hundert Wunden entstellter Christus mit einem von Blut triefenden Körper sollte vor 200 Jahren den Pestkranken Stärkung und Tröstung bringen.

Der Gemüsegarten des Klosters ist sehr groß, gepflegt und voller Farbe. Die Beete mit Zwiebeln, Spinat und Salat wechseln ab mit Blumenbeeten, die sich einen Schönheitswettbewerb liefern.

Info: “Buschenschankführer”, herausgegeben vom Südtiroler Bauernverband; www.buschenschaenke.it. Tourismusverein Brixen: www-brixen.org.


Das Kloster des Dritten Ordens des Hl.
Franziskus (foto P. Gianfelici)

Foto P. Gianfelici
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